TADEJ POGACAR - DER ALLESFRESSER
Wo soll das alles noch hinführen? Der Slowene hat Siege gefeiert, die für drei Weltkarrieren reichen. Im Vorjahr gewann er die Tour de France zum dritten Mal, wurde Weltmeister und Giro-Sieger, mittlerweile hat er bei neun Monumenten triumphiert. Und dabei wird gerne vergessen, dass der Wunderknabe erst 26 ist. Pogacar kann (fast) alles, will alles und kriegt in der Regel auch alles. "Pogi" ist der Topfavorit, das unterstrich er bei seinem Dauphiné-Sieg im Juni.
JONAS VINGEGAARD - DER GEGENSÄTZLICHE
2023 kam Pogacar nach einem Sturz nicht topfit zur Tour, 2024 war Vingegaard angeschlagen - nun scheinen erstmals bei einer Frankreich-Rundfahrt beide voll auf der Höhe, es bahnt sich ein faszinierender Vergleich an. Vingegaard, der Tour-Champ von 2022 und 2023, geht als Herausforderer ins Duell, das auch eines der gegensätzlichen Systeme ist: Hier der leise, enigmatische Däne, der sein Trainingsschneckenhaus nur selten für Rennen abseits der Tour verlässt, dort der slowenische Entertainer, der vom Wettkampf nicht genug bekommt. Vingegaard jedenfalls braucht eine zündende Idee, um nach Toursiegen gleichzuziehen.
REMCO EVENEPOEL - DER GOLDJUNGE
Der Doppel-Olympiasieger kann und hat wirklich alles, was es für Großtaten braucht - und ist dennoch Pogacar und Vingegaard im Gesamtpaket unterlegen. Das wurmt den Belgier, der reichlich dünnhäutig und angefressen war, als er bei der Dauphiné abgehängt wurde. Besser als seine beiden Rivalen ist Evenepoel zwar im (flachen) Zeitfahren. Doch das allein wird dem Tourdritten des Vorjahres nicht reichen, um eine wirkliche Chance zu besitzen.
PRIMOZ ROGLIC - DER PECHVOGEL MIT SYSTEM
2020 - da hätte Roglic die Tour gewinnen können. Ja: müssen sogar. Doch von der krachenden Zeitfahr-Niederlage an der Planche des Belles Filles gegen den blutjungen Landsmann Pogacar hat der Slowene offenbar ein Trauma zurückbehalten, seitdem erreichte er nicht mehr das Ziel der Tour. Roglic, das zieht sich durch seine Karriere, macht im Rennen zu viele Fehler, stürzt zu oft, was mit reinem Pech nicht mehr zu erklären ist. Noch scheint das Team Red-Bull-Bora-hansgrohe an den sündhaft teuren Star zu glauben, nominell ist er Kapitän. Doch sein Zeitfenster schließt sich: Roglic (35) wäre der zweitälteste Tour-Sieger - nach Firmin Lambot vor 103 Jahren.
FLORIAN LIPOWITZ - DAS VERSPRECHEN
Aus deutscher Sicht wird es das wohl interessanteste deutsche Tour-Debüt seit Jan Ullrich 1996. Lipowitz, einst vielversprechendes Biathlon-Talent, hat sich in den vergangenen zwölf Monaten dramatisch verbessert, war Siebter bei der Vuelta 2024 und fuhr bei der Tour-Generalprobe Dauphiné fast auf Augenhöhe mit Pogacar und Vingegaard. Bleibt der Ulmer bei sich, ist ein Top-5-Platz nun im Bereich des Möglichen, Rang vier wie zuletzt bei Emanuel Buchmann 2019 nicht unrealistisch. Red Bull-Bora-hansgrohe hat den Mann der Zukunft gefunden, aber noch nicht gebunden - Lipowitz Vertrag läuft zum Saisonende aus.
BINIAM GIRMAY - DER EX-EXOT
Veni, Vidi, Bini: Girmay kam im Vorjahr in die Tour und siegte, gewann drei Sprintetappen und das Grüne Trikot, als erster schwarzer Afrikaner. Längst ist der 25-Jährige kein Exot mehr, sondern ein absoluter Weltklassefahrer. Allerdings läuft das Jahr 2025 bislang nicht gut, Girmay ist noch ohne Sieg. Ein neues grünes Märchen wäre überraschend - die Konkurrenz um Jasper Philipsen und Jonathan Milan ist immens stark.
WOUT VAN AERT - DAS ZWEIRAD-EINHORN
Jemand wie van Aert ist im modernen Radsport eigentlich nicht vorgesehen. Mit 1,90 m und 78 kg besitzt der Belgier die Statur eines Sprinters, aber die Qualität eines Bergfahrers und das Können eines Rundfahrers, den Motor eines Zeitfahrers und das Herz eines Edelhelfers. Er gewann Spurtklassiker wie Mailand-Sanremo, aber auch Kletter-Exzesse wie beim Doppel-Ventoux der Tour 2021. Vor allem aber kann sich van Aert als Domestike an den langen Anstiegen für seine Teamkollegen schinden bis zur Selbstaufgabe - ihm hatte zuletzt Simon Yates den Giro-Sieg zu verdanken. Van Aert kann die Tour nicht selbst, aber seinem Team gewinnen.
MATHIEU VAN DER POEL - DER BESTE NEBENDARSTELLER
"MVDP" ist der neben Pogacar beste Radfahrer der Welt - und muss dennoch bei der Tour seine Nischen suchen. Der Niederländer gehört nicht zu den besten Kletterern und nicht zu den besten Sprintern. Was also tun? Klarer Fall: Sich in der ersten Woche austoben, im kupierten Gelände Nordfrankreichs, das dem geliebten Klassikerterrain ähnelt, auf Etappenjagd gehen - und vielleicht wieder das Gelbe Trikot finden.