Die allergrößten Skispringer besaßen stets das gewisse Etwas. Philipp Raimund hingegen ist "einfach etwas anders", sagt die große deutsche Tournee-Hoffnung als Selbstbeschreibung: "Ich bin ein einzigartiger Springer, weil ich einfach ein bisschen anders gehandhabt werden muss als die anderen." Schon allein, weil er der wohl einzige Skispringer mit Höhenangst ist - die aber einem Höhenflug nicht entgegenstehen soll.
"Definitiv" sei er derzeit sehr mit sich im Reinen, sagte der 25-Jährige der Münchner Abendzeitung vor dem Start der 74. Vierschanzentournee am Montag in seiner Heimatgemeinde Oberstdorf, wo er nach einem furiosen Saisonstart als Mitfavorit antritt: "Das habe ich mir hart erarbeitet. Jetzt rollt das System."
Kann Raimund den "Hannawald-Fluch" brechen?
Einmal Zweiter, dreimal Dritter, zuletzt zweimal Vierter in Engelberg, als einziger Ausreißer Platz 32 beim Wind-Wirrwarr von Kuusamo: Raimunds System rollt mit der Konstanz, die bei einer Tournee mit acht Wettkampfsprüngen binnen neun Tagen entscheidend ist. Raimund fehlt zwar noch ein Weltcupsieg - aber den benötigt man ja weder vor einem Tourneesieg zwingend (wie etwa Thomas Diethart 2013/14) noch währenddessen (wie zuletzt Ryoyu Kobayashi 2023/24).
Aber wie ist das nun für Raimund mit der Rolle als einer der Tournee-Favoriten? Mit dem Druck, der nächste Kandidat zu sein, endlich diesen "Hannawald-Fluch" nach bald einem Vierteljahrhundert ohne deutschen Tourneesieg zu beenden.
"Für mich ist die Tournee nicht das größte Ding der Welt. Ich sage nicht: Wenn ich die Tournee gewinne, werde ich der nächste Papst", betont Raimund: "Natürlich will ich die Tournee auch mal gewinnen. Aber ändert das die Welt? Ich glaube nicht."
Das ist der neue Raimund, der da spricht. Ein Plauderer war er schon immer, ein kaum einzubremsendes Energiebündel, etwas, nun ja, "Küblböckiges" haftete dem jungen "Hille" an, der diesen Spitznamen trägt, weil seine kleine Schwester phonetisch am "Philipp" scheiterte. Auch mit Mitte 20 "rede ich sehr schnell und mache viele Späße", sagt Raimund. Insgesamt wirkt er aber gelassener und geerdeter.
Höhenangst spielt weiter eine Rolle
"Ich glaube, er hat eine gute Mischung gefunden", sagt Markus Eisenbichler, früherer Teamkollege und heutiger Eurosport-Experte, "es freut mich, dass er den jugendlichen Leichtsinn ein bisschen abgelegt hat." Auch bei "Eisei" dauerte es lange bis zum ersten Weltcupsieg, den er erst nach dem vierten WM-Titel holte. "Erzwingen kann man das nicht", sagt Eisenbichler. Der große Durchbruch aber, der Höhenflug, da sind sich die Experten sicher, wird kommen.
Höhe, ach ja: Was ist denn nun mit der Höhenangst, die Raimund seit jeher beschäftigt? "Da reagiert mein Körper, ohne dass ich es beeinflussen kann. Dann verliere ich so für anderthalb Sekunden die Kontrolle", sagt Raimund, "normalerweise habe ich das im Griff."
Beim Skifliegen im März in Planica, wo die Springer so immens hoch in der Luft stehen, hatte er es nicht - und trat nicht an. "Aber ich hab's diese Saison vor und will mich von der Schanze runterschmeißen - wichtig ist es, motiviert, aber locker zu sein", sagt Raimund.
Höhenflüge, aber mit Fallschirm: Das Konzept des neuen einzigartigen Raimund ist schlüssig.
