Der kalte Atem der Geschichte: Nagelsmann und die DFB-Elf wollen ins Final Four

Die DFB-Elf will ins Halbfinale der Nations League einziehen.
Die DFB-Elf will ins Halbfinale der Nations League einziehen.ISABELLA BONOTTO/Anadolu via AFP
Italien beschwört verzweifelt den Geist von Dortmund, aber Julian Nagelsmann und seine Spieler glauben nicht an Historien-Hexerei. "Ach, da war ich elf", sagte Tim Kleindienst mit einem Schulterzucken über das deutsche WM-Trauma von 2006, "und mein Gedächtnis ist jetzt auch nicht das beste." Die Nationalmannschaft von heute will lieber ihre eigene Geschichte schreiben.

Das erste Italien-Kapitel ist bereits fertig und liest sich prächtig. Der 2:1-Sieg in Mailand im Viertelfinal-Hinspiel der Nations League war der erste beim viermaligen Weltmeister seit 1986 und der dritte in der langen Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes. Am Sonntag (ab 20:45 Uhr live bei RTL und in der Flashscore-Audioreportage) soll es gegen den ewigen DFB-Angstgegner auch zu Hause klappen.

Wobei: Angstgegner? "Ich habe keine Angst", sagt Nagelsmann, der beim Euphoriekiller der Halbfinal-Niederlage von 2006 immerhin schon 18 war. Gleichwohl werde es "spannend", die Ausgangslage sei komfortabel, aber gefährlich. "Wir haben ein paar Ideen im Kopf, was wir anpassen."

Manchmal, da scheint der Bundestrainer sogar etwas zu verkopft über seiner Aufstellung zu brüten. Auch in San Siro musste er zur Halbzeit reagieren - er traf dann aber wie so oft die richtigen Entscheidungen: Nico Schlotterbeck machte die linke Abwehrseite dicht, Kleindienst traf unmittelbar nach seiner Einwechslung per Kopf. Der wuselige Jonathan Burkardt hatte sich gegen die kantige Abwehr deutlich schwerer getan.

Diese beiden Änderungen wird Nagelsmann wohl mit ins Rückspiel nehmen. Ansonsten sollte das Gerüst der Mailand-Sieger bestehen bleiben: Vom bärenstarken Torhüter Oliver Baumann über den gleich wieder unverzichtbaren Siegtorschützen Leon Goretzka hin zu Jamal Musiala in der offensiven Dreierreihe. Florian Wirtz und Kai Havertz stehen für den Drei-Zauberer-Zirkel weiterhin nicht zur Verfügung - aber in Italien zeigte die DFB-Elf, dass es auch (mal) ohne sie gehen kann.

Trainer gegen Mathe-Lehrer

Die deutsche Mannschaft könnte sich nun ganz italienisch zurückziehen und abwarten, Nagelsmann hält jedoch nichts davon. "Wir tun alle gut daran, in Dortmund wieder bei 0:0 zu starten", sagte er, "dann müssen wir nicht rumrechnen." Rudi Völler, der alsbald seinen Sportdirektor-Vertrag bis 2028 verlängern soll, sekundierte: "Wir sind noch nicht durch!"

Nagelsmann ist kein Mathematik-Lehrer, aber die Erfahrung wird ihm sagen, dass er mit einer 50:50-Einschätzung nicht mehr durchkommt. "Aus Trainersicht" würde er das zwar behaupten, betonte er. "Ein Mathematiker jedoch würde sagen: Was ist das für ein Quatsch, weil wir eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, weiterzukommen."

So 65 bis 70 Prozent sollten es schon sein. Ist doch ordentlich - gegen einen Gegner, der sich selbstverständlich noch lange nicht aufgibt. "Luciano Spallettis Team muss jetzt ein Meisterwerk erschaffen", ahnt jedoch der Corriere dello Sport.

Die DFB-Elf kann sich mit einem kleinen Heilpflaster auf die alte Italien-Wunde ein Heimturnier erspielen. Das Final Four der Nations League käme im Juni nach Stuttgart und München - mit einem Halbfinale gegen Dänemark oder Portugal (Hinspiel 1:0) und einem möglichen Finale gegen Spanien. Da war doch was? Genau. Aber an Historien-Hexerei glaubt Nagelsmann ja nicht.

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