Nur wenige Wochen vor Beginn der CAN befand sich Kamerun mitten in einem offenen institutionellen Konflikt. Der belgische Trainer Marc Brys, im April 2024 vom Sportministerium ernannt, weigerte sich öffentlich, seine angebliche Entlassung anzuerkennen. Verbandspräsident Samuel Eto’o hatte Brys zwar für abgesetzt erklärt, doch eine offizielle Bestätigung durch die Präsidentschaft blieb aus.
Brys argumentierte, seine Position sei rechtlich weiterhin gültig, und reichte sogar noch vor Ablauf der offiziellen Meldefrist eigenständig eine Kaderliste für das Turnier mit etablierten Stars wie André Onana und Vincent Aboubakar ein.
Parallel dazu ernannte der Fußballverband den einheimischen Trainer David Pagou zum neuen Nationalcoach. Kurz darauf veröffentlichte der Verband FECAFOOT eine zweite Spielerliste mit 28 Akteuren – ohne Onana, Aboubakar und weitere erfahrene Leistungsträger.
Die Folge: zwei konkurrierende Kader, zwei Traineransprüche und keinerlei klare Führungsstruktur. Erst ein Eingreifen der Regierung und massive Kritik aus Medien und Öffentlichkeit brachten den Streit vorläufig zur Ruhe, begleitet von Vorwürfen der Misswirtschaft und persönlichen Machtspiele.
Stars außen vor – mit brisanter Symbolik
Die sportlichen Konsequenzen sind erheblich. Torhüter André Onana, einer der renommiertesten Keeper des Kontinents, fehlt im offiziellen Aufgebot. Besonders heftig diskutiert wird jedoch der Ausschluss von Vincent Aboubakar, langjähriger Kapitän, Führungsspieler und einer der prägenden Stürmer der vergangenen Jahre.
In kamerunischen Medien und Fankreisen kursieren sogar Spekulationen, persönliche Motive könnten eine Rolle spielen: Aboubakar nähert sich dem historischen Torrekord von Samuel Eto’o.
Neben Aboubakar fehlen weitere Leistungsträger wie Mittelfeldmotor André-Frank Zambo Anguissa (verletzt) und Verteidiger Michael Ngadeu. Stattdessen rücken junge, hungrige Spieler sowie im Ausland aktive Profis wie Bryan Mbeumo und Carlos Baleba in den Mittelpunkt.
Kameruns sportlicher Abstieg
Die aktuelle Krise ist nicht isoliert zu betrachten. Kameruns sportlicher Niedergang begann bereits vor Jahren. Trotz seiner großen Geschichte (fünfmaliger Afrika-Cup-Sieger und erstes afrikanisches Team in einem WM-Viertelfinale) fehlt es den Löwen zuletzt an Konstanz und Durchschlagskraft.
Zwar ist Kamerun mit acht Teilnahmen eines der WM-erfahrensten Länder Afrikas, doch die jüngsten drei Endrunden wurden verpasst. Besonders schmerzhaft war das Scheitern an der DR Kongo in den Playoffs zur WM 2026.
Auch beim Afrika-Cup blieb der große Erfolg seit dem überraschenden Titel 2017 aus. Sowohl 2019 als auch 2023 endete das Turnier bereits im Achtelfinale. Einziger Lichtblick war das Heimturnier 2021, bei der Kamerun Dritter wurde – getragen von Fanunterstützung und starken Einzelaktionen.
Erinnerungen an 2017?
Gerade deshalb weckt das aktuelle Chaos Erinnerungen an den Titelgewinn von 2017. Auch damals war Kamerun von internen Problemen geplagt. Acht prominente Spieler sagten ihre Teilnahme ab, darunter Joel Matip, Eric-Maxim Choupo-Moting sowie bereits damals Onana und Zambo Anguissa.
Trainer Hugo Broos reagierte mit klaren Regeln, Disziplin und mutigen Entscheidungen. Mit einer jungen, wenig bekannten Mannschaft formte er eine geschlossene Einheit und führte Kamerun sensationell zum Titelgewinn gegen Ägypten.
Die Parallelen zur heutigen Situation sind auffällig. Wie Broos übernimmt auch David Pagou ohne große internationale Erfahrung, verzichtet notgedrungen auf Stars und steht vor der Aufgabe, aus einer fragmentierten Mannschaft schnell ein funktionierendes Kollektiv zu formen.
Pagou gilt als diszipliniert, konsequent und nahbar. Sein Kader ist jung, weniger von Egos geprägt und hoch motiviert.
Schwierige Gruppe, offene Zukunft
Der sportliche Weg bleibt jedoch steinig. In Gruppe F warten Titelverteidiger Elfenbeinküste, Gabun und Mosambik: Gegner, die keine Fehler verzeihen. Ohne klare Führungsstruktur und mit wichtigen Ausfällen wird jede Partie zur Bewährungsprobe.
Gleichzeitig bieten Spieler wie Mbeumo und Baleba Dynamik und individuelle Klasse. Gelingt es Pagou, Ordnung, Vertrauen und Teamgeist zu etablieren, ist ein solides Turnier durchaus möglich.

