Amanda Anisimova wusste gar nicht, wohin mit ihrem Glück. Immer wieder klopfte die 24-Jährige auf den blauen Hartplatz von New York – und legte um 1 Uhr Ortszeit schließlich erschöpft, aber voller Freude ihren Kopf auf den Boden des mächtigen Arthur Ashe Stadiums.
Keine zwei Monate nach der schmerzlichen Lehrstunde im Wimbledon-Endspiel hat sich die US-Amerikanerin – mit einer beeindruckenden Mischung aus mentaler Stärke und Powertennis – auch ins Finale ihres Heim-Grand-Slams gekämpft.
Anisimova bewies im Halbfinale der US Open gegen die viermalige Majorsiegerin Naomi Osaka beim 6:7 (4:7), 7:6 (7:3), 6:3 starke Nerven und strebt nun am Samstag (22 Uhr MESZ/Sky und sporteurope.tv) im Duell mit der Weltranglistenersten Aryna Sabalenka nach der Krönung ihrer noch jungen, sehr bewegten Karriere.
Match-Center: Sabalenka vs. Anisimova
Ein echtes Heimspiel
"Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe", sagte Anisimova nach ihrem Sieg und lachte überwältigt: "Das bedeutet die Welt für mich. Ich versuche noch, es zu verstehen. Es ist definitiv ein Traum für mich, im US-Open-Finale zu stehen." Nun wolle sie auch "Champion" werden.
Champion beim Turnier vor der eigenen Haustür. Rund eine Autostunde vom USTA Billie Jean King Tennis Center in New York war die Tochter russischer Auswanderer 2001 zur Welt gekommen und hatte schnell einen Faible für das Tennis entwickelt.
Spätestens mit ihrem Halbfinaleinzug bei den French Open als 17-Jährige wurde sie dann weltbekannt und zur großen Hoffnungsträgerin im US-Tennis. Es folgten ein Millionendeal mit Nike – und viele schwere Momente.
Schicksalsschlag
Vor allem der viel zu frühe Tod ihres Vaters mit 52 Jahren nach einem Herzinfarkt setzte Anisimova zu. Vor zwei Jahren zog sie sich dann ausgebrannt aus der Szene zurück und verordnete sich eine monatelange Pause vom Tennis. Bei ihrer Rückkehr zu Beginn der Saison 2024 lag Anisimova auf Rang 442 der WTA – und fing quasi von vorne an.
Es dauerte bis zum erneuten Durchbruch, den sie mit dem Finaleinzug von Wimbledon manifestierte. Doch das Ende in London war enorm schmerzhaft.
0:6, 0:6 lautete der Endstand aus ihrer Sicht in einem der einseitigsten Endspiele der Grand-Slam-Geschichte gegen Iga Swiatek. Anisimova weinte bittere Tränen bei der Siegerehrung und zeigt nun in New York eine umso beeindruckendere Reaktion.
Lerneffekt
Im Viertelfinale nahm sie erst erfolgreich Revanche an Swiatek, um dann gegen Osaka den Widrigkeiten zu trotzten und ihre Nervosität rechtzeitig abzustreifen. "Ich habe wirklich an mir gearbeitet, um mit solchen Momenten umgehen zu können und an mich zu glauben", sagte Anisimova.
Ihre neue mentale Stärke könnte das entscheidende Puzzlestück auf dem Weg zum großen Ziel sein. Im Weg steht ihr nur noch Titelverteidigerin Sabalenka – eine letzte Mammut-Aufgabe vor dem großen Durchbruch?
