Hartnäckige Krankheits-Probleme, der regelmäßig thematisierte Makel der Absenz seines Erzrivalen Tadej Pogacar, vor allem die stetigen Übergriffe pro-palästinensischer Demonstranten: Selten hatte die Radsportwelt einen derart genervten Champion gesehen. Immerhin: Der zweimalige Tour-Sieger Vingegaard war die hochverdiente Nummern eins eines Rennens, dem mehrmals der Abbruch drohte.
"Nach dem zweiten Ruhetag waren wir alle nicht sicher, dass die Vuelta weitergehen würde", sagte der 28-Jährige am Samstagabend, nachdem er bei den letzten Bergankunft in 2265 m Höhe mit seinem dritten Etappensieg den Vorsprung auf den Portugiesen João Almeida vor dem Abschluss in Madrid auf 1:16 Minuten vergrößert hatte: "Aber heute war es eng, richtig eng."
Proteste verhindern reguläre Vuelta-Austragung
Vor dem Schlussanstieg zur "Erdkugel" hatten Dutzende Aktivisten die Straße blockiert, die Ausreißergruppe fuhr sich fest, die Favoritengruppe um Vingegaard um sitzende Protestler und an diesen zerrenden Sicherheitskräften herum.
Es war eine von vielen haarsträubenden Situationen einer Rundfahrt, bei der ein Weltkonflikt auf dem Rücken unbeteiligter Sportler weitergeführt wurde - auch wenn Sylvan Adams, der Besitzer des von den Protestierenden fokussierten Israel-Premier-Tech-Teams, als selbsternannter Botschafter Israels auftritt.
"Jeder hat das Recht auf Protest. Aber es ist auch eine Schande - wir sind hier, um Rennen zu fahren", sagte Vingegaard, der sich allerdings weitgehend "sicher gefühlt" habe.
Das ging nicht jedem so: Beim Mannschafts-Zeitfahren war das Israel-Team mit Tempo 50 auf eine Blockade zugerauscht. Der Spanier Javier Romo musste verletzt aufgeben, nachdem er bei einer Beinahe-Kollision mit einem Demonstranten gestürzt war. Mehrere Etappen wurden verkürzt - zum Nachtteil Vingegaards wie auch zu seinem Vorteil beim Einzelzeitfahren, als der geschwächte Däne weniger Zeit als befürchtet verlor.
Vingegaard: War eine "sehr spezielle Vuelta"
Auch die letzte Etappe nach Madrid wurde leicht verkürzt. Offiziell, weil im Vorort Aravaca ein Sponsor ausgefallen war. Medienberichten zufolge vielmehr, weil dort ein Großprotest drohte. Die Etappenankunft in Madrid sollten rund 2000 Polizisten absichern - mehr waren zuletzt beim NATO-Gipfel 2022 im Einsatz.
Immerhin blieb der GAU aus: Die Vuelta wurde nicht abgebrochen, das Israel-Team stieg weder aus noch wurde es ausgeschlossen - beides hätte einen gefährlichen Präzedenzfall nicht nur für den Radsport geliefert, dessen Etappen eben nicht von Kilometer 0 bis 200+ wasserdicht abzusichern sind. "Es war eine sehr spezielle Vuelta", sagte Vingegaard.
Wie die Organisatoren mit der Durchführung waren die Profis mit der politischen Dimension der Proteste oftmals überfordert - Vingegaard eingeschlossen. Sein Lösungsvorschlag: "Die Medien sollten den Demonstranten Sendezeit geben, um ihre Anliegen vorzutragen", sagte er bei TV2. Dann würden sie bestimmt die Fahrer in Ruhe lassen.