"Vieles von den Darstellungen der Norweger ist nicht nachvollziehbar", sagte Ralph Eder, Sprecher des Deutschen Skiverbandes (DSV), dem SID. Dass nur ein paar Techniker von der Manipulation der Anzüge gewusst haben sollen, wirkt befremdlich. "Bei uns zum Beispiel wird die Passform der Anzüge zwischen Trainern, Betreuern und Sportlern eng koordiniert", sagte Eder.
Bislang allerdings haben die Norweger nur zugegeben, was sich nach Videos kaum noch leugnen ließ. Die disqualifizierten Springer Marius Lindvik und Johann Andre Forfang beteuern ihre Unschuld. "Wir sind beide absolut am Boden zerstört. Keiner von uns wäre mit Anzügen gesprungen, von denen wir wussten, dass sie manipuliert waren", hieß es in einer Stellungnahme des norwegischen Skiverbandes.
Suspendierung des Cheftrainers
Dieser verkündete am Montagnachmittag dann die Suspendierung von Cheftrainer Magnus Brevik, der offensichtlich neben der Nähmaschine saß, und Servicetechniker Adrian Livelten. Die Maßnahme gelte "bis auf Weiteres". Interne Untersuchungen sollen nun zeigen, "was vor dem Wettkampf bei der Manipulation der Overalls passiert ist und wer daran beteiligt war", es seien "viele Fragen unbeantwortet", wird Sportdirektor Jan-Erik Aalbu zitiert. Nichts deute wiederum darauf hin, dass Aalbu selbst Kenntnis von den Vorgängen gehabt habe, teilte der Verband mit.
Doch daran gibt es Zweifel. Warum sollten zwei, drei Techniker eigenmächtig vor dem wichtigsten WM-Wettkampf neue Bestandteile in einen Anzug einbauen, wenn Lindvik doch gerade erst Gold im Einzel, Gold im Mixed und Bronze im Team gewonnen hat? Und bekommen feinfühlige Springer wirklich nicht mit, wenn plötzlich eine versteifte Naht in den hautengen Anzug eingebaut wurde? Welche Rolle spielte Cheftrainer Magnus Brevik, der offensichtlich neben der Nähmaschine saß?
Auch in Norwegen gibt es Skepsis. "Nur wenige Athleten werden beim Doping erwischt, wenn sie es das erste Mal tun", schrieb die Zeitung VG, das Dagbladet meinte: "Was als peinlicher Regelverstoß begann, entwickelt sich für Norwegen zur ultimativen Demütigung." Für den Rundfunk NRK war klar: "Das ist Doping, nur mit einer anderen Art Nadel."
Auch rückwirkende Maßnahmen nicht ausgeschlossen
Fraglich ist vor allem, welchen Anzug Lindvik an welchem WM-Tag benutzte. DSV-Sportdirektor Horst Hüttel forderte daher vom FIS-Chefkontrolleur Christian Kathol eine lückenlose Auflistung aller von Norwegens Skisprung-Männern in allen WM-Wettbewerben verwendeten Anzüge. Durch den Chip, der laut FIS-Reglement in jeden Anzug eingearbeitet und im Einsatz kontrolliert wird, sind die jeweiligen Anzüge genau zu identifizieren.
Nicht mehr ausgeschlossen scheint eine rückwirkende Aberkennung der Medaillen - und damit beispielsweise der WM-Titel für Andreas Wellinger. Dafür müssten aber noch weitere Vergehen ans Tageslicht kommen, wie FIS-Generalsekretär Michel Vion im ORF betonte. "Das ist dann eine andere Geschichte. Dann gibt es nach den Untersuchungen weitere Strafen. Das könnten auch Disqualifikationen sein", sagte der Franzose. Bis dahin könnte es aber noch Monate dauern.
Der Imageschaden für das Skispringen ist so oder so schon jetzt riesig. "In meinem schlimmsten Albtraum hätte ich nicht gedacht, dass es so weit kommt", sagte Ex-Skispringer Sven Hannawald der Bild: "Ich hoffe, dass alle Entscheidungsträger endlich aufwachen und sich ein rigoroses Reglement überlegen. Ansonsten kann man Skispringen in zwei Jahren beerdigen."