Nagelsmanns WM-Gefühl: Zwischen Fortschritt und Vorsicht

Julain Nagelsmann (l.) will sich nach dem Befreiungsschlag gegen Luxemburg nicht zurücklehnen
Julain Nagelsmann (l.) will sich nach dem Befreiungsschlag gegen Luxemburg nicht zurücklehnenHasan Bratic / Hasan Bratic / dpa Picture-Alliance via AFP

Beim verdienten Erholen in der EM-Oase hatte auch Julian Nagelsmann wieder ein besseres WM-Gefühl. Ein überzeugender Pflichtsieg mit "Gier und Galligkeit" sowie den "Super-Bayern" Joshua Kimmich und Serge Gnabry als echten Anführern, die Tabellenführung in Gruppe A, zufriedene Fans - Nagelsmann hatte gute Gründe, den entspannten Samstag in Herzogenaurach zu genießen. Aber zurücklehnen? Nein! Dafür bleibt zu viel zu tun.

Während seine Nationalspieler nach Autogrammkarten-Shooting, Spielersatztraining oder individueller Regeneration relaxten, nahm der Bundestrainer seine wichtigste Frage in den Blick: Wie lässt sich die vielfach zitierte "Herangehensweise" von diesem gefälligen 4:0 (2:0) gegen ein früh dezimiertes Luxemburg konservieren? Schließlich wartet schon am Montag (20.45 Uhr/RTL) in Belfast gegen Nordirland eine "ganz andere Hausnummer" - und das gilt erst recht für die WM 2026 mit dem Traumziel fünfter Stern.

Zum Match-Center: Nordirland vs. Deutschland

Seine erste Maßnahme: Er verbot seinen Stars den Blick auf die Tabelle der WM-Qualifikation, in der die DFB-Elf mit sechs Punkten nun gleichauf mit den Nordiren und Slowaken auf Rang eins liegt. Da hinzuschauen, sagte er, sei "nicht immer ratsam". Das lenke nur ab.

Im Gegensatz zu den DFB-Spielern dürfen wir einen Blick auf die Tabelle wagen
Im Gegensatz zu den DFB-Spielern dürfen wir einen Blick auf die Tabelle wagenFlashscore

Kimmich blüht in alter Rolle auf

Stattdessen forderte Nagelsmann für das Gastspiel vor "frenetischen Fans" im Windsor Park, wo er einen ähnlich griffigen Gegner erwartet wie bei der Blamage von Bratislava (0:2): "Da müssen wir auf jeden Fall eine Schippe drauflegen und die Lust auf Gegenpressing mitnehmen, aufs gemeinschaftliche Verteidigen."

Ein Anfang wurde in Sinsheim gemacht - auch, weil Nagelsmann an den richtigen Schrauben drehte. Als "Führungsperson" müsse er Entscheidungen treffen, sagte der Bundestrainer, "das habe ich gemacht". So zog er Kapitän Joshua Kimmich wieder nach rechts hinten - auf die Gefahr hin, dass ihm das als "Rolle rückwärts von der Rolle rückwärts" ausgelegt werden würde.

In der hybriden Rolle als "rechter Sechser", der immer wieder in die Mitte zog, zeigte Kimmich eines seiner besten Länderspiele - erster Doppelpack inklusive. Dabei liege seine beste Position doch "im Tor", scherzte der Münchner. Tatsächlich sei es ihm "komplett egal", wo Nagelsmann ihn hinstelle. Wo das künftig sein wird? Der Bundestrainer wollte sich da nicht mehr festlegen.

Solide Teamleistung der Deutschen

Das tat er in seinem alten "Wohnzimmer" aber mehrfach. Auf den linken "Energiegeber" David Raum, dessen wunderschöner Freistoßtreffer früh den Bann brach. Auf Rückkehrer Nico Schlotterbeck im Abwehrzentrum, der andeutete, was er der Nationalelf als erster Spielgestalter geben kann. Auf ein harmonierendes Münchner Sechser-Duo mit Aleksandar Pavlovic und Leon Goretzka, das leidenschaftlich "restverteidigte". Und auf eine Vierer-Offensive mit "Vorbildspieler" und Torschütze Gnabry - einem Muster aus Einsatz und Spielfreude -, die in Abwesenheit einiger WM-Stammkräfte so bis Jahresende zusammen bleiben dürfte.

Obwohl der Angriff am ehesten Anlass zur Kritik gab - allen voran Florian Wirtz und Nick Woltemade. Nagelsmann aber verteidigte sein "Doppel-W": Wegen der frühen Roten Karte gegen Luxemburg sei es gegen deren Betonriegel noch schwieriger gewesen, sagte er. Seine beiden Sorgenkinder müssten "dran bleiben", dann platze der Knoten.

Mannschaftsgeist im Vordergrund

Vor der nächtlichen Rückkehr nach Franken um 2.15 Uhr lobte Nagelsmann viel lieber die "Soft Skills" seiner Auswahl, die er gerne auch "Prinzipien" nennt. Wenn die Einstellung stimme, Wille und Einsatzbereitschaft da seien, dann sei der Gegner "egal". Ob Luxemburg oder Nordirland, wo der angeschlagene Jamie Leweling fehlen wird, ob Spanien oder Argentinien.

"Es ist sehr wichtig, dass wir innerhalb der Truppe verstehen, dass wir eine Mannschaft sind", sagte Kimmich und betonte: "Das muss unser Trumpf sein!" Dann stimmt auch das WM-Gefühl.