United unter Amorim: Ein Jahr zwischen Fortschritt, Frustration und offenen Fragen

Ruben Amorim hat gegen Everton sein einjähriges Jubiläum als Trainer von Manchester United gefeiert.
Ruben Amorim hat gegen Everton sein einjähriges Jubiläum als Trainer von Manchester United gefeiert.DARREN STAPLES / AFP

Das Spiel am Montagabend gegen den FC Everton hätte für Manchester United zu einem Symbol jener neuen Widerstandskraft werden können, die das Team in den vergangenen Wochen immer wieder angedeutet hatte. Stattdessen markierte die Niederlage der Amorim-Elf gegen einen Gegner, der über eine Stunde in Unterzahl spielte, einen weiteren Rückschlag in einer Ära, die sich zwölf Monate nach ihrem Beginn noch immer nicht als solche entpuppt hat.

Everton, nach einer Roten Karte für Idrissa Gueye dezimiert, wurde zur ersten Mannschaft in der Geschichte der Premier League, die im Old Trafford nach einem Platzverweis gewann. Für Gary Neville war die Leistung von United "bei weitem nicht gut genug" und "zeitweise peinlich". 

Der frühe Gegentreffer von Kiernan Dewsbury-Hall, der unmittelbar nach Gueyes Platzverweis fiel, genügte, um die Gastgeber aus dem Tritt zu bringen – so sehr, dass Neville von "Selbstgefälligkeit" sprach und davon, dass diese Vorstellung "das Vertrauen in Ruben Amorims Team untergraben" werde.

Kritik richtete sich nicht nur an die Spieler, sondern auch direkt an den Trainer. Jamie Carragher bezeichnete Amorims Weigerung, sein Dreierkettensystem nach Evertons Unterzahl anzupassen, als schwerwiegenden Fehler. "Das ist eine schlechte Nacht für den Trainer", urteilte er und stellte infrage, wie Amorim so starr an einer Formation festhalten könne, wenn ihm ohnehin nur ein einziger, positionsfremder Stürmer (Joshua Zirkzee) zur Verfügung stand. 

Zum Match-Center: Manchester United vs. FC Everton

Auch Nevilles Analyse zielte auf strukturelle Probleme: Die Defensive blieb überbesetzt, während es offensiv an Geschwindigkeit, Breite und Präsenz im Strafraum mangelte. Luke Shaw "schlendere" übers Feld, Dalots Einwechslung sei unverständlich, und das ganze Angriffsspiel wirke "sehr langsam".

Diese akute Analyse eines enttäuschenden Abends führt dabei unweigerlich zum größeren Bild: dem ersten Jahr von Ruben Amorim, das am selben Tag sein Jubiläum beging – und das sinnbildlich für eine Gemengelage aus mutigen Ideen, widersprüchlichen Leistungen und anhaltender Unsicherheit steht.

Ein Jahr Amorim: Mut zur Systemtreue, aber wenig Konstanz

Als Amorim vor einem Jahr übernahm, galt er als Symbol einer neuen, modernen Ausrichtung des Klubs unter Sir Jim Ratcliffe. Jung, erfolgreich mit Sporting Lissabon und konsequent in seinen Prinzipien. Der Wechsel zu einer Dreierkette sollte United nicht nur strukturell verändern, sondern auch kulturell erneuern.

Doch der Preis für diese radikale Neuorientierung war hoch: Rekorde, die Fans lieber vergessen würden: die schlechteste Premier-League-Platzierung aller Zeiten, ein peinliches EFL-Cup-Aus gegen einen Viertligisten, das verlorene Europa-League-Finale gegen Tottenham.

Während Amorim beharrlich darauf bestand, dass nicht das System das Problem sei, fielen die Resultate zeitweise ins Bodenlose. Zweimal erreichte United in der vergangenen Saison einen Punkteschnitt von nur 0,83. Zu Beginn der aktuellen Spielzeit sank der Zwölf-Spiele-Durchschnitt sogar auf 0,75 – ein Wert, der Ten Hags Bilanz zum Zeitpunkt seiner Entlassung fast halbierte.

Doch genau hier wird das Bild komplizierter: In den letzten Monaten zeigten sich deutliche Fortschritte. Vor dem Everton-Spiel lag der Zwölf-Spiele-Schnitt bei 1,75 Punkten und damit auf dem besten Wert seit fast zwei Jahren.

Auch andere Zahlen erzählen eine differenzierte Geschichte: ein klar gesteigerter xG-Wert, eine verbesserte offensive Effektivität, späte Tore als Zeichen mentaler Stärke und deutlich mehr Spielzeit in Führung als noch in der vergangenen Saison. Dazu kam ein extrem schwerer Auftaktspielplan, der die defensiven Schwächen zumindest relativiert.

Zwischen strukturellem Fortschritt und alten Schwächen

Doch all diese positiven Entwicklungen tragen einen entscheidenden Vorbehalt: Sie sind neu, fragil und noch zu inkonsistent, um als Grundlage für echte Zuversicht zu dienen. Denn die Probleme, die Amorims erstes Jahr geprägt haben, sind trotz Verbesserungen nicht verschwunden. Das Team lässt weiterhin zu viele gute Chancen zu, kämpft mit Ausfällen seiner neuen Stürmer und bleibt mental anfällig für Rückfälle wie jenen gegen Everton.

Das 0:1 gegen Everton wirkt deshalb wie ein Brennglas: Es zeigt die Fortschritte, aber auch die Grenze des Geduldsfadens. United wirkt fitter, geschlossener, mental stärker, und ist dennoch weit entfernt vom Niveau, das der Klub anstrebt. Amorims Vertrag läuft noch rund 18 Monate, doch langsam braucht es für jeden Fan erkennbare Fortschritte.

Die kommenden Wochen mit einem leichteren Spielplan könnten entscheiden, ob Amorims Vision endlich tragfähige Form annimmt, oder ob das erste Jahr, das kein totaler Fehlschlag war, letztlich aber zu viele Zweifel zurückließ, bereits auf das Ende seines Manchester-Projekts hindeutet.