Ange Postecoglou nimmt Abschied: Der Mann, der Tottenham spaltete – und verband

Ange Postecoglou muss trotz des Europa League-Triumphs seinen Hut bei den Tottenham Hotspur nehmen.
Ange Postecoglou muss trotz des Europa League-Triumphs seinen Hut bei den Tottenham Hotspur nehmen.John Walton, PA Images / Alamy / Profimedia
Die Trennung von Ange Postecoglou bei Tottenham Hotspur kommt auf den ersten Blick überraschend – und ist doch das Resultat eines höchst widersprüchlichen Kapitels in der jüngeren Klubgeschichte. Sie ist das Ende einer Ära, die zwischen Euphorie und Ernüchterung oszillierte: der erste europäische Titel seit über drei Jahrzehnten auf der einen, die schlechteste Premier-League-Saison seit fast einem halben Jahrhundert auf der anderen Seite.

Als Postecoglou am 25. Mai mit Familie und Team nach der 1:4-Niederlage gegen Brighton auf dem Rasen des Tottenham Hotspur Stadiums stand und den Europa-League-Pokal präsentierte, wirkte es wie die Rettung einer schwachen Saison und die Wiederbelebung einer einst innigen Beziehung zwischen Trainer und Anhängern. Nur 16 Tage später war er entlassen.

Die offizielle Vereinsmitteilung bedankte sich artig, stellte aber klar, dass die Entscheidung „im besten Interesse des Vereins“ gefallen sei. Ein Euphemismus für einen Schritt, den viele nach dem Europapokal-Erfolg in Bilbao nicht für möglich gehalten hatten – und der doch rational nachvollziehbar ist.

Tottenham zwischen sportlichem Tiefpunkt und historischem Erfolg

Denn die Saison 2024/25 war in der Liga eine Katastrophe: Platz 17, 22 Niederlagen – mehr als je zuvor in einer 38-Spiele-Spielzeit – und eine Niederlagenquote von 57,9 Prozent. Die Spurs spielten phasenweise auf dem Niveau eines Abstiegskandidaten. Das ohnehin fragile Selbstbild des Klubs bekam tiefe Risse.

Dass der Verein trotzdem eine Trophäe gewann, ist paradox – und ein Beleg für Postecoglous taktische Anpassungsfähigkeit. In Bilbao triumphierte Tottenham dank pragmatischem Spiel und cleverer Kadersteuerung. Doch genau dieser Fokus auf die Europa League kostete wertvolle Punkte in der Liga. Seit Ende Januar, so gab Postecoglou offen zu, priorisierte er Europa – eine Entscheidung, die sich zwar auszahlte, aber auch für die historische Schwäche daheim verantwortlich war.

Hinzu kam eine beispiellose Verletzungsmisere: Die defensiven Schlüsselspieler Cristian Romero, Micky van de Ven, Torwart Guglielmo Vicario, Spielmacher James Maddison – alle fielen monatelang aus. Nur Pedro Porro absolvierte über 75 Prozent der möglichen Minuten. Während viele Beobachter Postecoglou als Opfer unglücklicher Umstände sahen, hinterfragte der Klub zunehmend das Belastungsmanagement. Besonders die Rückkehr von Romero und van de Ven zum Chelsea-Spiel im Dezember, bei dem sich beide erneut verletzten, sorgte für Misstrauen gegenüber der medizinischen Abteilung und indirekt auch gegenüber Postecoglou selbst.

Taktisch verlor der Trainer mit zunehmendem Saisonverlauf seinen Markenkern. „Angeball“, der risikoreiche, laufintensive Angriffsfußball, wich einem defensiveren, generischeren Stil. Ohne seine Schlüsselspieler fehlte die Basis für das ursprüngliche Konzept. Dennoch hielt Postecoglou an einer offensiven Herangehensweise fest – mitunter zum Frust der Fans.

Fans frustiert: "You don't know what you're doing"

Diese Entfremdung zeigte sich offen bei der Niederlage in Bournemouth oder beim Spiel gegen Chelsea, als Fan-Gesänge wie „You don’t know what you’re doing!“ laut wurden. Dass Postecoglou später mit einer Handbewegung Richtung Fanblock antwortete, markierte für viele einen Wendepunkt. Doch mit dem Erfolg in Bilbao war die Beziehung zumindest für große Teile der Anhängerschaft wieder gekittet.

Präsident Daniel Levy stand nach dem Titelgewinn vor einer schwierigen Entscheidung. Statt direkt zu handeln, nahm er sich eine Woche Bedenkzeit – und entschied sich schließlich gegen eine weitere Saison mit Postecoglou. Es war kein impulsiver Bruch, sondern ein wohlüberlegter Schritt: Nach zwei Jahren mit extremen Ausschlägen – Platz 5 in Jahr eins, Platz 17 in Jahr zwei – überwog die Sorge, dass Stabilität mit diesem Trainer nicht möglich sei.

Auch wenn Postecoglou intern hohes Ansehen genoss und die Spieler seinem disziplinierten, distanzierten Führungsstil mit Loyalität begegneten, blieb die sportliche Bilanz durchwachsen. Finanzielle Einbußen durch das schwache Ligaabschneiden taten ihr Übriges.

Postecouglou: Der Mann, der Tottenham spaltete – und verband

Postecoglou bleibt eine ambivalente Figur. Er brachte Hoffnung, Stolz und einen Titel zurück – doch hinterließ auch die düsterste Premier-League-Bilanz der Vereinsgeschichte. Seine Entlassung kam nicht, weil ihn die Spieler mieden oder weil die Fans ihn verließen. Sie kam in einem Moment, als viele wieder zu ihm standen – und ist gerade deshalb so bemerkenswert.