FlashFocus: Bruno Génésio - Lille als Sprungbrett für eine Spitzen-Liga?

Bruno Génésio will mit Lille ins Achtelfinale der Champions League
Bruno Génésio will mit Lille ins Achtelfinale der Champions LeagueMatthieu Mirville / DPPI via AFP
Lille-Coach Bruno Génésio ist ein Meister seines Fachs - und in der Lage, selbst die besten Trainer Europas taktisch zu überrumpeln. Seit seinem Debüt in der Ligue 1 auf der Bank von Olympique Lyon bewies er sein Talent mehrfach. Mit seinem aktuellen kann er in einem für ihn idealen Umfeld und auf der höchsten Ebene des Sports operieren. Folgt danach die Chance in einer großen europäischen Liga?

Wir schreiben das Jahr 2018 im Etihad-Stadion. In der Gruppenphase gelang Lyon zu Hause bereits ein überraschendes Unentschieden gegen Manchester City. Am 19. September 2018 ging es im Rückspiel für viele nicht darum, ob die Citizens gewinnen würden. Sondern darum, wie viele Tore Unterschied es werden würde. Doch der Außenseiter überraschte: Lyon besiegte City (2:1) durch Tore von Maxwell Cornet und Nabil Fekir. Verantwortlich für diesen Sieg war für die prestigeträchtige französische Tageszeitung L'Équipe aber jemand anderes: Bruno Génésio, der in Anlehnung an Guardiola liebevoll "Pep" getauft wurde.

Zunächst schmeichelte ihm die leicht sarkastische Ehrung jedoch ganz und gar nicht, wie er 2020 gegenüber So Foot angab: "Zuerst hat es mich geärgert, aber dann fand ich es lustig (...) Ich hoffe immer noch, dass Guardiola in Manchester nicht Bruno genannt wird."

Lyoner durch und durch

Der in Lyon geborene und im Verein ausgebildete Génésio trug von 1985 bis 1995 selbst die Farben des Vereins (mit Ausnahme der Saison 1993-1994, als er nach Nizza ausgeliehen war) und erlebte den Beginn des Umbruchs des Vereins ab 1987 mit der Ankunft von Jean-Michel Aulas. Nach Stationen bei Villefranche und Besancon in der CFA (4. Liga) kehrte der ehemalige Mittelfeldspieler 2007 zu "seinem" Verein zurück. Dort durchlief er verschiedene Stationen: Scout, Assistent, Jugendtrainer, Assistent der ersten Mannschaft für 240 Spiele und Trainer der ersten Mannschaft. Sein Mandat begann am 24. Dezember 2015 und lief bis zum Ende der Saison 2018-2019.

Seine Bilanz in der Liga ist ansehnlich: Platz 2 im Jahr 2016, Platz 4 im Jahr 2017, Platz 3 im Jahr 2018, Platz 3 im Jahr 2019. Seit seinem Weggang hat Lyon dagegen nicht mehr dem Podium der Liga gestanden. Génésio gilt als typisch französischer Trainer, der sein Team in einem 4-2-3-1 oder sogar einem 4-3-1-2 gut ausbalanciert sieht und mehr auf Sicherheit bedacht ist als darauf, ein attraktiveres Spiel zu bieten. Eine Tatsache, für die er von den Fans in Lyon teilweise sogar ausgebuht wurde. Keine einfache Situation, wie er gegenüber So Foot erklärte: "Als ich in Lyon anfing, fehlte mir die Erfahrung. Ich wollte nicht auf bestimmte Leute hören, insbesondere nicht auf Gérard Houllier. Das Bild, das mir vermittelt wurde, war so stark, dass ich mich beweisen wollte. Ich befand mich in einer Art 'Einer-gegen-alle'-Situation."

Hätte sich die Wahrnehmung der Fans geändert, wenn Lyon 2017 nicht im Halbfinale der Europa League gescheitert wäre? Gegen Ajax, das Team, das im darauffolgenden Jahr das Viertelfinale der Champions League erreichen sollte, unterlagen "Les Gones" in Amsterdam (1:4), waren aber im Rückspiel nahe dran, ein sensationelles Comeback hinzulegen (1:3). Sein "größtes Bedauern" in seiner Zeit als Lyon-Trainer, wie er im vergangenen Oktober gegenüber der L'Équipe gestand: "Dreieinhalb Jahre lang haben wir meiner Meinung nach sehr gute Arbeit geleistet. Aber irgendwann wurde ich zum Sündenbock, wenn es mal nicht lief. Mein größter Stolz ist es, meine ehemaligen Spieler treffen. Denn sie sagen mir stets, dass sie alle sehr glücklich sind, dass ich sie trainiert habe."

Erfahrungen in China und in Rennes

Nach der Station in Lyon führt der Weg für Génésio ins chinesische Exil, zu Beijing Guoan. Dort hatte er 10 Spiele Zeit, um sich einen Platz in der AFC Champions League zu sichern. Das Ergebnis: Er brach den Ligarekord des Vereins und verpasste den Titel mit nur zwei Punkten Rückstand. In der folgende Saison erreichte er in einer aufgrund der Pandemie in zwei geteilten Liga mit Play'offs das Halbfinale.

Anfang Januar 2021 verließ er seinen Posten, um zwei Monate später mit Rennes sein Comeback in der Ligue 1 feiern. Seine dortige Mission wurde mit einer positiven Bilanz (6 Siege, 2 Unentschieden, 3 Niederlagen), die einen Platz in der Conference League sicherte, erfüllt. In seiner ersten vollen Saison 2021/2022 führte Génésio sein Team auf Platz 4 und in die Qualifikation für die Europa League. Das Tüpfelchen auf dem i war die Wahl zum Trainer des Jahres. Einst Kunststück, das ihm 2022/2023 erneut gelang. Im November dasselben Jahres verließ er den Klub nach einer Heimniederlage - ausgerechnet gegen "sein" Lyon, das zu diesem Zeitpunkt die ersten 11 Saisonspiele nicht gewonnen hatte.

Überflieger in der Champions League 

Nach einer mehrmonatigen Pause wurde Génésio zur Saison 2024/25 dann von Lille angeheuert, wo er Paulo Fonseca ersetzte. Das erste Saisondrittel verlief mit 19 Punkten, Platz 4 mit nur einem Zähler Rückstand auf die Top 3 der Ligue 1 zufriedenstellend. Einen Namen machte sich sein Team dagegen in der revolutionierten Gruppenphase der Champions League.

Fünfeinhalb Jahre nach dem Ausscheiden von Lyon gegen Barca im Achtelfinale (0:0 in Lyon, 1:5-Niederlage im Camp Nou) kehrte Génésio über die Qualifikation zurück in die Königsklasse. Dabei schlug er während der Olympischen Spiele unter anderem José Mourinhos Fenerbahce  (2:1) im Hinspiel der 3. Qualifikationsrunde, ehe  man sich in Istanbul endgültig durchsetzte (1:1). 

Der CL-Start verlief mit einer 0:2-Niederlage in Lissabon gegen Sporting noch etwas holprig. Doch danach sorgten die Franzosen für Furore: mit dem 1:0-Sieg gegen Real Madrid im Stade Pierre-Mauroy und einem 3:1-Sieg gegen Atlético im Metropolitano stürmte man in die obere Tabellenhälfte - und die Liste an Trainern, die Génésio geschlagen hat, wächst: José Mourinho, Carlo Ancelotti, Diego Simeone. Nach dem Unentschieden gegen Thiago Mottas Juventus (1:1) hat Lille aktuell sieben Punkte auf dem Konto.

Was hält die Zukunft für Génésio bereit?

Wir sind gespannt darauf, was wir in den nächsten Monaten noch so von Génésio hören. Einem Manager, der schon früher für seine Führungsqualitäten und seine gute Kommunikation vor und während der Spiele bekannt war, nun jedoch einen hervorragenden Mix aus Talent, Erfahrung und Ehrgeiz zur Verfügung hat. Etwas, dass ihm zuvor womöglich gefehlt hatte.

Im Ausland ist er (noch) ein eher unbeschriebenes Blatt, in Frankreich dagegen bereits etabliert. Lille strebt mit dem 58-Jährigen zumindest ein mittelfristiges Projekt an. Der Klub könnte bei erfolgreichen Ergebnissen als eine Art Sprungbrett zu einem der großen Verein in einer großen Liga führen. Einige der besten Manager der Welt hat er bereits besiegt. Gelingt es ihm nun, eine Saison mit beständig guten Ergebnisse zu absolvieren?