EXKLUSIV: Weltmeistertrainer Del Bosque über Zidane, Ronaldo und Besiktas-Anekdoten

Vicente del Bosque führte Spanien zum ersten und einzigen Weltmeistertitel
Vicente del Bosque führte Spanien zum ersten und einzigen WeltmeistertitelFlashscore // JAVIER SORIANO / AFP

Vicente del Bosque gilt als einer der erfolgreichsten Trainer aller Zeiten: sowohl auf Vereins-, als auch auf Nationalmannschaftsebene. Mit Real Madrid gewann er um die Jahrtausendwende zweimal die Champions League sowie zwei spanische Meisterschaften. Unsterblich machte er sich im Jahr 2010, als er die spanische Nationalmannschaft zum ersten WM-Titel führte, ehe zwei Jahre später der Gewinn der Europameisterschaft erfolgte. Der erfahrene Trainer sprach mit Flashscore exklusiv über seine Zeit bei Real und Besiktas Istanbul, den Erfolgen mit der spanischen Nationalmannschaft, aber auch über seine Ex-Schützlinge Zinedine Zidane und Ronaldo Nazario.

Frage: Sprechen wir zunächst über Real Madrid. Sie erinnern sich bestimmt daran... 

Antwort: "Nein, nein, nein, lassen Sie mich eines vorwegnehmen, bevor Sie fragen: Ich möchte ein guter "Ex"-Trainer sein – oder es zumindest versuchen! Es reicht schon, dass Madrid 2:5 verloren hat (im Derby gegen Atlético), aber wenn ich jetzt über Madrid spreche, heißt es später: 'Ach, jetzt redet er über Madrid (nach der Niederlage)'. Also nein, über dieses Spiel sprechen wir nicht."

F: Wir sprechen nicht über dieses Spiel, Don Vicente, keine Sorge! Mich würde interessieren: Wie es war, einen jungen Spieler wie zum Beispiel Nicolas Anelka zu trainieren? Denn Sie hatten in Ihrer Trainerkarriere mit einigen starken Persönlichkeiten zu tun. 

A: "Vielleicht war er einer der etwas schwierigeren Spieler – nicht unbedingt hartnäckiger als andere, aber weniger emotional, obwohl er uns nicht viele Probleme bereitet hat. Er war ein guter Kerl, und obwohl er wegen Kleinigkeiten auch mal die ein oder andere Woche nicht im Kader stand, hat er uns geholfen, Champions-League-Sieger zu werden. Das darf man nicht vergessen. Ich habe ihn auch sehr gern, aber wir haben alle auch unsere Schwächen."

Nicolas Anelka während einer Trainingseinheit von Real Madrid im Jahr 2000
Nicolas Anelka während einer Trainingseinheit von Real Madrid im Jahr 2000Christophe Simon / AFP

Luis Figo und Transfers zwischen Real und Barcelona

F: Hatte sich mit der Ankunft von Luis Figo aus Barcelona etwas in der Kabine verändert? 

A: "Ich denke, er wurde gut aufgenommen. Im Fußball gibt es Dinge, die unmöglich erscheinen. Ein Spieler aus Barcelona, der dort sehr beliebt war, kommt plötzlich nach Madrid – das ist natürlich ein kleiner Schock. Aber man muss das gelassen sehen. Es ist ja in beide Richtungen passiert – Luis Enrique ist kurz vor ihm auch von Madrid gewechselt. Solche Transfers gab es immer wieder in beide Richtungen."

F: Können Sie sich solche Transfers heute im modernen Fußball vorstellen? Dass ein Barca-Spieler zu Madrid geht oder umgekehrt?

A: "Ja, ja, ich denke schon. Ih habe das Gefühl, dass so ein Transfer jederzeit wieder möglich wäre. Nach dem, was mit Figo passiert ist, wäre das für uns auch kein Drama mehr."

Zidane und Ronaldo: Ein Kontrast in der Kabine?

F: Ein anderes Thema: Zidane als Spieler und Zidane als Trainer – was haben sie gemeinsam?

A: "Ich kann nur meine Meinung zu Zidane als Spieler geben. Er war einer der besten Transfers des Klubs und ein herausragender Spieler. Er war sehr anspruchsvoll mit sich selbst, aber auch mit seinen Mitspielern. Ich glaube ehrlich gesagt, dass es für ihn am Anfang nicht leicht war, sich zu integrieren. Er kam aus Italien, wo ein anderer Spielstil und andere Trainingsmethoden herrschten. Ich denke, anfangs fiel ihm die Umstellung bei uns etwas schwer. Aber wenn man ihn heute fragen würde, bei welchem Team er sich wohler gefühlt hat: bei Juventus oder Real Madrid, würde er wohl Real Madrid sagen. Davon bin ich überzeugt."

F: Kürzlich haben wir Rubén de la Red interviewt, und er sagte, dass Zidane, obwohl er ernst wirkte, durchaus Sinn für Humor hatte und in der Kabine ein sehr fröhlicher Charakter war. Hatten Sie denselben Eindruck? 

A: "Ja, er war nachdenklich, ruhig, hatte aber auch eine sehr starke Ausstrahlung. Das hilft einem, die Spieler zu verstehen. Wir sind alle unterschiedlich. Das Wichtigste ist, dass sie ihr Bestes geben und an das Team denken."

F: Zidane hatte sicherlich einen anderen Charakter als zum Beispiel Ronaldo (Nazario), sein ehemaliger Teamkollege. Ronaldo sagte, Sie seien der Trainer gewesen, der ihn am besten verstanden hat. Was bedeutet das für Sie?

A: "Ich habe ihn wirklich sehr gut verstanden. Ich finde es sehr wichtig, dass es in der Kabine herzlich und freundschaftlich zugeht und dass man sich gut versteht. Ein gutes Arbeitsklima ist entscheidend, um erfolgreich zu sein. Warum sollten wir den ganzen Tag herumjammern oder ständig wütend auf die Spieler sein? Nein. Wir müssen sie so akzeptieren, wie sie sind. Und Ronaldo ist für mich ein Beispiel für einen Spieler, der glücklich sein musste, um sein Bestes zu zeigen."

F: Ich sehe, wie Sie lächeln, wenn Sie von Ronaldo sprechen. Ich nehme an, die Stimmung in der Kabine war sehr gut mit solchen Spielern?

A: "Natürlich war sie das. Er hat mich überhaupt nicht gestört, denn er war gehorsam und wollte einfach glücklich Fußball spielen. (Fußballer) haben auch das Recht, Spaß am Spiel zu haben, und jeder Trainer möchte, dass seine Spieler Freude am Fußball haben."

F: Sie haben als Spieler von Real Madrid neun Titel gewonnen, als Trainer elf. Ist Vicente del Bosque ein Synonym für Erfolg?

A: "Nun, es war Real Madrid, da ist man immer nah an Titeln dran. Es ist normal, dass Madrid Titel gewinnt und in den vielen Jahren, in denen ich im Verein war, hatte ich als Spieler und Trainer die Zeit und die Möglichkeit, alles zu gewinnen."

WM 2010: Chile und Paraguay die härtesten Gegner

F: Gehen wir zurück in die Vergangenheit: 2010, Südafrika. Könnte das Tor von Andrés Iniesta im Finale der Fußballweltmeisterschaft eines der wichtigsten in der Geschichte des spanischen Fußballs sein?

A: "Wenn Iniesta nicht getroffen hätte, wären wir heute wahrscheinlich nicht hier."

F: Wenn Sie sich zurückerinnern, welches war das härteste und schwierigste Spiel bei der Weltmeisterschaft 2010?

A: "Alle Partien waren schwierig. Das zeigen auch die stets engen Resultate. Wenn ich mich entscheiden müsste, dann waren die Chilenen in der Vorrunde äußerst unangenehm. Wir hatten vorher schon Freundschaftsspiele und sie haben sich immer als schwierige Gegner erwiesen. In der K.o.-Phase dann auch Paraguay, die uns alles abverlangt haben. Mit einem sehr ähnlichen Stil wie die Chilenen, mit großem Druck, körperlich hart  – sie haben uns kaum spielen lassen, sehr unangenehm."

F: Wie haben Sie es geschafft, die großen Stars von Real Madrid, FC Barcelona und anderen Mannschaften zu managen und sie zum Gewinn der Weltmeisterschaft zu führen?

A: "Ich denke, das war ganz normal. Es ist das Beste und Wichtigste in einer Mannschaft, dass man immer an die Dinge glaubt und stets versucht, das Bestmögliche zu tun. Mit Zuneigung und Respekt für die Spieler, aber auch im Wissen, dass der Fußball eine Besonderheit hat. Nämlich, dass man elf Spieler aus dreiundzwanzig auswählen muss. Das ist immer knifflig, aber man muss es so machen, wie man glaubt, dass es am besten für die Mannschaft ist. Und ich denke, das wurde von den Spielern gut angenommen."

Del Boque glaubt an spanischen WM-Sieg: "Könnten wieder ganz nah dran sein"

F: Glauben Sie, dass Spanien im Jahr 2026 das wiederholen kann, was Sie 2010 geschafft haben?

A: "Ich denke, wir sind auf einem guten Weg dorthin. Aber man sollte nicht im Voraus groß reden und jetzt schon behaupten: 'Wir werden Weltmeister'. Das ist nicht gut. Aber es stimmt, dass alle Spanier, und noch mehr die, die jetzt in der Nationalmannschaft sind, einschließlich des Trainers, meiner Meinung gute Chancen haben, Weltmeister zu werden.

Wir haben gute Spieler, wir haben ein Spielsystem und einen Spielstil, der allerdings ganz anders ist als damals, als wir Weltmeister waren. Ich denke, wir könnten wieder ganz nah dran sein, es zu schaffen."

F: Gibt es aktuelle Spieler in der spanischen Nationalmannschaft, die Sie gerne trainiert hätten?

A: "Wir hatten damals einige sehr gute Spieler, aktuell gibt es sie ebenfalls: Merino, Fabián, Rodri. Ich spreche natürlich von den Mittelfeldspielern. Wenn überhaupt, ist der größte Unterschied zwischen der jetzigen und der früheren Mannschaft, dass wir aktuell zwei Spieler auf den Flügeln haben, die individuell sehr gut sind: Nico (Williams) und Lamine (Yamal)".

F: Sergio Busquets hat vor kurzem seinen Rücktritt vom Fußball am Ende der MLS-Saison angekündigt. Ist für Sie Busquets ein Synonym für einen Mittelfeldspieler, einen Anführer auf dem Platz?

A: "Für uns war er das natürlich. Es gab viele Kontroversen darüber, ob Sergio Busquets und Xabi Alonso im Mittelfeld spielen sollten, weil sie beide als Mittelfeldspieler oder als defensive Mittelfeldspieler angesehen wurden. Kontrovers natürlich vor allem, weil der eine aus Barcelona und der andere aus Madrid kam. Am Ende haben beide gespielt, und ich denke, sie waren einer der wichtigsten Bestandteile unseres Spiels. Sowohl Sergio als auch Xabi Alonso waren Spieler, die alles richtig gemacht haben, die viel an die Mannschaft gedacht haben und sich in den Dienst der Mannschaft gestellt haben. Und bis zum Beweis des Gegenteils, den wir mehr nicht erbringen können, denke ich, dass dies die effektivste Lösung war."

F: Was bedeutet es für den spanischen Fußball, die Weltmeisterschaft 2030 auszurichten?

A: "Ich denke, das ist sehr gut. Spanien ist der Welt gegenüber offen, was meiner Meinung nach für den Fußball sehr wichtig ist. Fußballerisch sind wir sehr angesehen."

"Der Fußball ist wie die Geschäftswelt"

F: Kommen wir auf die WM 2026 zurück. Wovor haben Sie mehr Respekt: Argentinien mit Messi oder Portugal mit Cristiano? Beide Spieler werden wahrscheinlich ihre letzte Weltmeisterschaft spielen.

A: "Beide sind Welstars, die wir im spanischen Fußball ein Jahrzehnt oder mehr als ein Jahrzehnt lang genießen durften, weil der eine für Madrid und der andere für Barcelona spielte. Das ist für uns etwas Großartiges. Wir können die Zukunft nicht vorhersehen, aber es wäre natürlich schön, wenn beide als die Stars, die sie waren und immer noch sind, bei dieser Weltmeisterschaft nochmals spielen können".

F: Es gibt Trainer wie Sie, wie Carlo Ancelotti, wie Gus Hiddink, die Ruhe ausstrahlen. Und es gibt Trainer wie Pep Guardiola, der praktisch jede Saison innovativ ist und versucht, neue Dinge einzuführen. Wohin entwickelt sich der moderne Fußball und wie unterscheidet er sich von dem, was früher war?

A: "Der Fußball ist wie die Geschäftswelt, die sich auch weiterentwickelt. Ich bin ein Laie in der Geschäftswelt, aber ich verstehe, dass sie sich weiterentwickelt. Und auch der spanische Fußball, der Fußball im Allgemeinen, entwickelt sich weiter. Sogar die Sprache entwickelt sich weiter. Es werden neue Wörter in den Sprachgebrauch integriert, die dasselbe bedeuten, wie alte Dinge, für die wir andere Wörter hatten."

Warme Erinnerungen an Istanbul

F: Sie waren auch Trainer von Besiktas Istanbul. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit? Erging es Ihnen gut in Istanbul?

A: "Ja, aus vielen Gründen. Ich schätze den türkischen Fußball und das türkische Volk sehr. Ich habe dort zehn Monate verbracht und es war eine tolle Zeit. Es war eine großartige Gelegenheit, auf der einen Seite in Europa zu leben und auf der anderen Seite jeden Tag in Asien zu trainieren. Wir sind nämlich jeden Tag vom europäischen Istanbul ins asiatische Istanbul gefahren, weil das Trainingszentrum von Besiktas dort lag.

Del Bosque bei seiner Vorstellung als Besiktas-Coach
Del Bosque bei seiner Vorstellung als Besiktas-CoachProfimedia

F: Sie mussten also einen gültigen Reisepass haben?

A: "Ich erzähle das gerne als Anekdote. Es war eine Mannschaft, die ich in meinem Herzen trage, die ich sehr mochte. Ich schaue mir noch heute die Spiele von Besiktas an, um zu sehen, ob sie gewinnen. Es war ein sehr guter Schritt, auch auf familiärer Ebene: Wir haben durch das Cervantes-Institut einen Mann kennengelernt, der meinem Sohn, der eine Behinderung hat, sehr geholfen hat. Das Cervantes-Institut hat uns Aufmerksamkeit geschenkt, für die ich mein Leben lang dankbar sein werde".

F: Wenn Sie sich Spiele zuhause ansehen, kommt Ihnen dann in den Sinn, dass Sie diese oder jene Änderungen vornehmen könnten?

A: "Nein, ich habe keine Nostalgie, nicht mehr. Ich schaue mir Fußball an, weil er mir gefällt, weil er mich unterhält. Aber nicht, weil ich denke, dass ich etwas ändern könnte.

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Flashscore

Ich danke Ihnen vielmals. Und viel Glück.