EXKLUSIV: Lucy Ward über Englands EM-Heldenreise und die Zukunft des Frauenfußballs

England trifft im Finale der Frauen-EM 2025 auf Spanien.
England trifft im Finale der Frauen-EM 2025 auf Spanien.SEBASTIEN BOZON / AFP / Profimedia
Als Michelle Agyemang im letzten Moment Englands Hoffnungen auf den Einzug ins EM-Finale 2025 rettete, erlebte Lucy Ward einen jener seltenen Momente, in denen selbst gestandene Profis die Fassung verlieren. „Ich habe vergessen, dass die Kamera da war“, gestand Ward im exklusiven Interview mit Flashscore. Der dramatische Ausgleichstreffer im Halbfinale gegen Italien ließ die frühere Nationalspielerin und heutige TV-Kommentatorin die Emotionalität des Fußballs am eigenen Leib spüren – ein Spiegelbild dessen, was Millionen Fans im Land fühlten.

Lucy Wards spontane Reaktion während der Live-Übertragung ging viral. „Ich dachte wirklich, das war’s“, erinnert sie sich an die letzten Minuten gegen Italien. „Aber genau in solchen Momenten sieht man, wie viel das Spiel bedeutet – für uns alle.“ Für Ward sind solche Szenen Ausdruck eines gewachsenen Verständnisses zwischen Team und Fans, getragen von sozialen Medien, die Nähe und Nahbarkeit fördern.

Doch diese Nähe hat auch ihre Schattenseiten. Ward spricht offen über die Herausforderung, mit Online-Kritik umzugehen. „Man muss Menschen, die nur Negatives sagen, einfach ausblenden“, rät sie. Ihre Strategie? Blockieren oder stummschalten – und nicht über Dinge nachdenken, die vom Wesentlichen ablenken: dem Spiel selbst.

England unter Druck – und mit Charakter

Die Lionesses standen bei diesem Turnier unter enormem Druck. Rücktritte von Schlüsselspielerinnen wie Mary Earps und Fran Kirby vor dem Turnier, eine Auftaktniederlage gegen Frankreich – und trotzdem der Weg ins Finale. Für Ward ist klar: „Diese Mannschaft weiß, wie man unter Druck gewinnt, selbst wenn man nicht das beste Spiel macht.“ Besonders beeindruckt zeigt sie sich von der mentalen Stärke und dem Selbstvertrauen des Teams.

England hat sich bis ins Finale der Frauen-Europameisterschaft 2025 vorgekämpft
England hat sich bis ins Finale der Frauen-Europameisterschaft 2025 vorgekämpftIPA Sport / ABACA / Abaca Press / Profimedia

Einen entscheidenden Beitrag leistete dabei die 19-jährige Michelle Agyemang. Mit ihren späten Toren gegen Schweden und Italien wurde sie zur Entdeckung des Turniers. „Eine absolute Offenbarung“, sagt Ward, die die Arsenal-Stürmerin für ihre Reife, ihren Fußball-IQ und ihre Coolness in entscheidenden Momenten lobt.

Vor dem Endspiel gegen Spanien zeigt Ward Respekt für den Gegner. Besonders das Mittelfeld um Bonmatí, Putellas und Guijarro sei eine „perfekte Maschine“. Dennoch sieht sie Chancen: „Keira Walsh kennt das spanische Mittelfeld in- und auswendig – sie kann wertvolle Hinweise geben.“ Entscheidend sei, den Ballbesitz besser zu kontrollieren und Spanien mit physischen Duellen aus dem Rhythmus zu bringen – wie es Schweiz und Deutschland vorgemacht hätten.

Ward zeigt sich überzeugt, dass Trainerin Sarina Wiegman in der Aufstellung Kontinuität bevorzugen wird. „Sie ändert so wenig wie möglich – und es funktioniert.“ Auch Agyemang wird wohl wieder als Joker eingewechselt, ähnlich wie Russo bei der EM 2022.

Sprunghafter Fortschritt – aber noch ein weiter Weg

Die Zuschauerzahlen beim Halbfinale sprechen Bände: Über zehn Millionen Briten verfolgten den Thriller gegen Italien. Für Ward ein Zeichen des massiven Wandels: „Früher dachten die Leute, ich sei komisch, weil ich als Mädchen Fußball spielte. Heute ist es ganz normal – aber dieser Wandel kam nicht über Nacht.

Ward betont die Notwendigkeit, auch die Basis weiter zu stärken. „Wir brauchen mehr Spielerinnen – das fängt in den Schulen an. Und wir brauchen Trainer, die wissen, wovon sie sprechen.“ Zu viele junge Coaches hätten nur theoretisches Wissen. „Erfahrung ist in der Ausbildung unerlässlich.

Der Millionen-Transfer – Meilenstein und Mahnung

Auch die finanzielle Entwicklung sieht Ward kritisch: Der 1-Millionen-Pfund-Transfer von Olivia Smith zu Arsenal sei zwar ein „Meilenstein“, berge aber Risiken. „Es muss nachhaltig bleiben. Wir dürfen nicht dieselben Fehler machen wie der Männerfußball.

Trotz aller Herausforderungen ist Lucy Ward voller Optimismus für die Zukunft: „Der Frauenfußball hat sich unfassbar entwickelt – aber das Fundament muss stimmen. Es geht nicht nur um Titel, sondern darum, dass jedes Mädchen die Chance hat, Fußball zu spielen – egal, wie gut sie ist.