Lichtblick im Tabellenkeller: Kann Ilzer Hoffenheims Krise beenden?

Die TSG Hoffenheim feierte am Sonntag einen 3:1-Erfolg bei Werder Bremen
Die TSG Hoffenheim feierte am Sonntag einen 3:1-Erfolg bei Werder BremenSTUART FRANKLIN/GETTY IMAGES EUROPE/Getty Images via AFP
Die TSG Hoffenheim kämpft in der deutschen Bundesliga gegen den Abstieg. Am Sonntag feierten die Kraichgauer aber ein wichtiges Erfolgserlebnis: In Bremen feierte man einen wichtigen 3:1-Erfolg. Christian Ilzer kann aufatmen – doch ist der Österreicher dazu in der Lage, den Klub nachhaltig zu stabilisieren? Eine Analyse von Micha Pesseg.

Chronik einer Dauer-Krise

Seit der Trennung vom langjährigen Sportchef Alexander Rosen und der Entlassung der kompletten Geschäftsführung im zurückliegenden Sommer befindet sich die TSG Hoffenheim im Krisenmodus. 

Große Teile des Fanlagers stellten sich damals aktiv gegen die Politik von Klubmäzen Dietmar Hopp. Ein Transparent mit der Aufschrift "Wir Fans sind der Verein. Hopp verpiss dich!" verdeutlichte diesen Unmut. Auch die Wahl des langjährigen Sinsheimer Oberbürgermeisters Jörg Albrecht im September glättete die Wogen nicht.

Als schließlich Andreas Schicker als neuer Sport-Geschäftsführer präsentiert wurde, wurde die Kritik von Hoffenheims Anhängerschaft nur noch lauter.

Dem Österreicher wurde ein Naheverhältnis zur Beraterfirma ROGON unterstellt. Dieses kommentierte er im Interview mit der Vereinshomepage lapidar: "Natürlich kenne ich die Beraterfirma ROGON und auch Roger Wittmann, aber nicht mehr oder minder als andere Berater."

Im November nutzte Schicker eine sportliche Mini-Krise (drei sieglose Spiele in Folge), um dem bisherigen Cheftrainer Pellegrino Matarazzo das Vertrauen zu entziehen und Christian Ilzer nach Sinsheim zu locken. 

Hoffenheims Cheftrainer Christian Ilzer
Hoffenheims Cheftrainer Christian IlzerSTUART FRANKLING/GETTY IMAGES EUROPE/Getty Images via AFP

"Scheiß-Saison"

Sturms Meistertrainer träumte schon lange auf Sprung in die deutsche Bundesliga vor – und sah nach dem Erreichen des österreichischen Doubles 2024 seine große Chance gekommen. Dass er Schicker aus Graz kannte und die Zusammenarbeit nachweislich sehr gut funktioniert hat, verschaffte ihm einen großen Vertrauensvorschuss.

Diesen brauchte Ilzer auch. Auf ein spektakuläres Debüt – nach mehrfachem Rückstand feierte die TSG einen 4:3-Heimsieg gegen RB Leipzig – folgte eine Serie von neun sieglosen Pflichtspielen. 

Nach einer 5:0-Niederlage beim Tabellenführer Bayern München polterte Vereinslegende Andrej Kramaric im ESPN-Interview: "Für mich war klar, dass dies passieren würde. Es ist ein Abbild der gesamten Saison. Das ist eine Scheiß-Saison, um ehrlich zu sein."

Tatsächlich droht nach fast 17 Jahren Bundesliga-Zugehörigkeit der Abstieg. Nach 22 Spieltagen hat man sieben Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz 16 – ein trügerisches Polster. 

Das Auswärtsspiel bei Werder Bremen am Sonntag wurde dementsprechend zum "Endspiel" für Christian Ilzer hochstilisiert. Dem Steirer war die Anspannung im Vorfeld der Begegnung deutlich anzumerken. "Ich verstehe, dass die Medienwelt Blut fließen sehen will", sagte er: "Ich will auch Blut fließen sehen. Aber durch unsere Herzen. Blut, das mit Leidenschaft gefüllt ist." 

Endspiel überstanden

Auf diese Kampfansage folgte ein verdienter 3:1-Erfolg. Ein Befreiungsschlag? Nicht ganz. Erst muss Ilzer beweisen, dass er dazu imstande ist, konstant Ergebnisse einzufahren. Seine taktischen Ansätze jedenfalls sind vielversprechend – aber auch risikoreich.

Der Spielverlauf im Überblick
Der Spielverlauf im ÜberblickFlashscore

Ganze 13 Mal ist die TSG in dieser Spielzeit bereits in Rückstand geraten. Kein Zufall: Das Abstimmungsverhalten in der Defensive ist mangelhaft – zumal Ilzer bereits acht verschiedene Abwehrketten ausprobiert hat. Teils aufgrund von Verletzungen, teils wegen schwacher Einzelleistungen.  

Wackelige Defensive

Grundsätzlich ist der Coach kein Rotations-Liebhaber. Ein eingefleischter Sturm-Fan konnte Ilzers Aufstellung auch aufsagen, wenn er um drei Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen wurde. Der 47-Jährige wechselte selten, in Erfolgszeiten gar nicht.  

Zumindest in der Innenverteidigung deutet sich nun aber eine Stammbesetzung an: Neuzugang Leo Östigard und Arthur Chaves finden immer besser zusammen.. Während Östigard konstant seine Position hält, stört Chaves seine Gegenspieler frühzeitig, attackiert diese bereits im Mittelfeld.

Spielernoten TSG Hoffenheim beim Sieg in Bremen
Spielernoten TSG Hoffenheim beim Sieg in BremenFlashscore

Ein riskantes Spiel: Klappt das Tackling, freut sich Hoffenheim über einen schnellen Ballgewinn. Misslingt es aber, hinterlässt der Brasilianer eine riesige Lücke in der Abwehrkette. Wird diese erfolgreich bespielt, hat der gegnerische Angreifer freien Weg zum TSG-Gehäuse. 

Dieses Spiel mit dem Feuer führte in Bremen beinahe zum 3:2-Anschlusstreffer. Als Justin Njinmah in der 68. Minute frei vor Torhüter Luca Philipp auftauchte, hatte die TSG großes Glück. Njinmah setzte die Kugel klar neben den Kasten.

Solche riskanten Ballverluste darf sich Hoffenheim auf Bundesliga-Niveau nicht leisten.

Fehlende Feinabstimmung

Grundsätzlich gilt Christian Ilzer als Freund eines sehr aggressiven Pressings. Vorzugsweise wird der gegnerische Außenverteidiger angelaufen, um Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte zu provozieren und anschließend rasch zum Torabschluss zu kommen.

Dieses Forechecking erfordert ein gutes Timing und große mannschaftliche Geschlossenheit. Beim 3:1-Sieg im Weserstadion gab es jedoch immer wieder massive Abstimmungsproblemen zwischen Rechtsverteidiger Pavel Kaderabek und Mittelfeldspieler Anton Stach.

Hoffenheims real-taktische Formation
Hoffenheims real-taktische FormationOpta by StatsPerform/ STUART FRANKLIN/GETTY IMAGES EUROPE/Getty Images via AFP

Letztgenannter wurde mehrfach dazu gezwungen, Lücken im Abwehrdrittel zu stopfen – was einerseits viel Laufarbeit, andererseits mehr Platz für Angriffe über das Zentrum bedeutet. So ging auch dem Eigentor durch Pechvogel Stanley Nsoki ein missglückter Zweikampf von Stach voraus. Diesen Fehler machte er später mit dem 1:1-Ausgleichstreffer wieder gut.

Erzwungenes Chaos

Schnappt Ilzers Pressingfalle zu, kann das schnell zu einem gefährlichen Angriff führen. Bestes Beispiel: Das Hoffenheimer Anlaufverhalten vor dem wichtigen 2:1-Führungstreffer durch Tom Bischof kurz vor der Halbzeitpause.

Ausgangspunkt des Torjubels war ein Bremer Einwurf tief in der eigenen Spielhälfte.  Zunächst attackierte Kaderabek den ballführenden Issa Kabore, Stach störte zeitgleich die naheliegendste Anspielstation, Romano Schmid. Es folgte ein Ballgewinn an der rechten Außenbahn, das Spielgerät kam zu Bischof. 

Bischof erzielte den 2:1-Führungstreffer – sein drittes Bundesliga-Tor 2024/25
Bischof erzielte den 2:1-Führungstreffer – sein drittes Bundesliga-Tor 2024/25STUART FRANKLIN/GETTY IMAGES EUROPE/Getty Images via AFP

Währenddessen deutete Mittelstürmer Orban einen Tiefenlauf an und hinderte dadurch Bremens Dreierkette am Herausrücken. Abwehrchef Niklas Stark fokussierte sich auf den Nigerianer, während Marius Bülter auf der ballfernen Seite Milos Veljkovic an sich zog. 

Kaderabek besetzte nach dem Ballgewinn konsequent die Außenbahn – wodurch auch Werders drittem Innenverteidiger Anthony Jung ein klarer Gegenspieler fehlte. Seine Augen waren auf den im Halbraum dribbelnden Bischof gerichtet. Dieser spielte zwei Doppelpässe – zunächst mit Kramaric, dann mit Finn Ole Becker.

Bremens Manndeckung verwirrte die schnelle Ballzirkulation, der 19-jährige Bischof kam am Strafraumrand zum Abschluss und versenkte den Ball zielsicher im langen Eck.

Das Missverständnis in der grün-weißen Abwehrkette war kein Zufall, sondern das Resultat eines konsequent ausgeführten Planes. Ilzers Mannschaft war es gelungen, Werders Abwehrkette durch intelligent aufeinander abgestimmte Positionierungen auf den Kopf zu stellen.

Stabilitätsfaktor Becker

In dieser Aktion offenbarte sich auch das Können von Assistgeber Becker: Der Mittelfeldspieler ist dazu in der Lage, Passgelegenheiten instinktiv zu erkennen und das TSG-Spiel rasch zu beschleunigen.

Seine Fähigkeit, gegnerische Linien mit vertikalen Direktzuspielen zu durchbrechen, ist Gold wert. Zumal der Linksfuß auch die taktische Intelligenz besitzt, um das Tempo zu drosseln, wenn keine aussichtsreiche Anspielstation verfügbar ist. So werden einfach Ballverluste vermieden. Becker könnte der Mannschaft die notwendige Stabilität geben, um kontinuierlich Ergebnisse zu einfahren. 

Becker hat sich gegen Bremen für mehr Einsatzzeit empfohlen
Becker hat sich gegen Bremen für mehr Einsatzzeit empfohlenOpta by StatsPerform/ Carmen Jaspersen/DPA

Spannendes Programm

Nächste Gelegenheit, zu beweisen, dass der 3:1-Sieg keine Eintagsfliege war, hat die TSG Hoffenheim am Sonntag (19:30 Uhr/LIVE in der Flashscore-Audioreportage). Anschließend warten auf die Kraichgauer drei richtungsweisende Duell. Der VfL Bochum (1. März), der 1. FC Heidenheim (9. März) und der FC St. Pauli (14. März) sind allesamt direkte Konkurrenten im Abstiegskampf.

Spielplan TSG Hoffenheim
Spielplan TSG HoffenheimFlashscore

Es folgt eine Länderspielpause – bekanntlich ein beliebter Zeitpunkt für einen Trainerwechsel. Ob Ilzer einen solchen befürchten muss, hängt davon ab, ob er die defensiven Schwächen seiner Truppe auf ein Minimum reduzieren kann. Die Offensive funktioniert jedenfalls. 

Eine Analyse von Micha Pesseg
Eine Analyse von Micha PessegFlashscore