Zufrieden drosch Robert Andrich kleine Bälle ins Publikum, seine Teamkollegen knipsten Selfies mit den Fans. Zumindest etwas Aufbruchsstimmung breitete sich bei der Saisoneröffnung von Bayer Leverkusen aus. Inmitten des XXL-Umbruchs übertönte die gute Laune in der Arena aber keineswegs die Alarmsignale aus den eigenen Reihen. Zumal bereits der nächste Double-Held vor dem Absprung steht.
Allzu viel Angriffslust verspürte Andrich deshalb nicht. Die Werkself ein Bayern-Jäger? Nein, das wäre "noch ein bisschen früh", sagte der Antreiber angesichts der scheinbar unendlichen Spielerflucht, die für deutlich gedämpfte Erwartungen beim Vizemeister sorgt.
Der neue Trainer Erik ten Hag dürfte das ähnlich sehen. Nicht umsonst hatte er schon vor dem erfolgreichen Test gegen den SC Pisa (3:0) unmissverständlich "vier bis fünf" neue Stars gefordert, damit das Saisonziel erreicht werden könne. Er meinte wohlgemerkt die Top vier, nicht den Angriff auf den FC Bayern und die Meisterschaft.
Anders als vor dem Double-Jahr laufen die Personalplanungen kurz vor dem Pokalstart in der kommenden Woche beim Regionalligisten SG Sonnenhof Großaspach noch auf Hochtouren. Nahezu die gesamte Meisterachse ist durch die Abgänge von Florian Wirtz, Jeremie Frimpong (beide FC Liverpool), Granit Xhaka (AFC Sunderland) und Jonathan Tah (Bayern München) sowie Erfolgstrainer Xabi Alonso (Real Madrid) weggebrochen. Auch Kapitän und Torhüter Lukas Hradecky dürfte sich noch zur AS Monaco verabschieden.
Das bestätigte Sportchef Simon Rolfes, auf dessen Schreibtisch sich die unerledigten Aufgaben immer höher stapeln. Die klare Forderung seines Trainers nahm er durchaus wahr. "Inhaltlich" überrasche ihn das nicht, sagte Rolfes - und versprach: "Den Top-Vier-Anspruch wird dieser Kader haben, aber mit Sicherheit mit Luft nach oben." Die Entwicklung einer neuen Mannschaft sei "die Geschichte in diesem Jahr".
"Mehr Qualität" ist gefordert
Die Kassen sind mit mehr als 200 Millionen Euro Transfereinnahmen zwar prall gefüllt, der Markt scheint derzeit aber schwierig. Einige vielversprechende Zugänge wie Malik Tillman, Jarell Quansah oder der neue Keeper Mark Flekken sind schon da, weitere Namen werden munter gehandelt: Da wären etwa Maghnes Akliouche (23/AS Monaco), James McAtee (22/Manchester City) oder Malick Thiaw (23/AC Mailand) sowie Janis Blaswich (34/RB Leipzig) als Hradecky-Ersatz.
Es brauche nicht nur Quantität, "wir müssen auch Qualität bekommen", forderte ten Hag. Er habe weiterhin "sehr viel Vertrauen", dass der Vorstand "die richtigen Spieler bringt. Ich bin sicher, dass das passiert", betonte der Niederländer, der zugleich eine völlig neue Hierarchie in der Mannschaft aufbauen muss.
Zum neuen Kapitän könnte Andrich mit seiner Erfahrung aufsteigen. Der 30-Jährige gab als letzter verbliebener Anführer der Double-Generation trotz aller Baustellen die Richtung vor. Man tue gut daran, irgendwann einen Haken hinter die Abgänge zu machen und ihnen "nicht mehr hinterherzuweinen", sagte Andrich: "Wir haben für die Zukunft gute Jungs verpflichtet." Für den Trainer aber noch nicht genug.