Patrik Kühnen hat einen schlichten Lösungsansatz für ein komplexes Problem parat: Macht öfter mal Pause! Das rät der frühere Davis-Cup-Kapitän den zahlreichen Tennisprofis, die nicht nur körperlich, sondern immer stärker auch mental unter den Belastungen ächzen, darunter Topstars wie Alexander Zverev und Carlos Alcaraz. In einem Sport, der niemals stoppt und in dem weniger Matches weniger Geld bedeuten, ist das eine unpopuläre Anregung. Für Kühnen aber eine absolut notwendige.
"Das Thema Breaktime ist wichtig", sagte Kühnen im Rahmen der von Sky präsentierten SID-Mixedzone anlässlich des Welttages für psychische Gesundheit am Freitag, Erholungsphasen seien zwingend, "körperlich und mental". Und da brauche jeder einen individuellen Weg und individuelle Unterstützung. Via Coach oder Sportpsychologe - letzteren Weg ging Kühnen einst als einer der ersten Tennisprofis.
"Die Kunst liegt darin, dass der Spieler oder die Spielerin den besten Weg entwickelt und findet", sagte der 59-Jährige, der als Spieler dreimal den Davis Cup gewann, "um die Punkte so zu setzen, dass ich dann, wenn ich es brauche und wenn ich am besten spielen will, auch in meiner besten körperlichen und meiner geistigen Kraft sein kann".
Mens sana in corpore sano. Den gesunden Körper sahen schon die Römer nur in Kombination mit einem gesunden Geist. Und während in Kühnens ersten Spielerjahren Mitte der 80er mentale Stärke zuvorderst bedeutete, als Alphatier den Gegner psychisch zu zermürben, wie es Brad Gilbert ("Winning Ugly - Mentale Kriegsführung im Tennis") oder John McEnroe zelebrierten, geht es mittlerweile verstärkt um die eigene Psyche.
"Ein gewisses Verhalten auf dem Platz, um den Gegner rauszubringen, lenkt ja von der eigene Leistungsfähigkeit ab. Ich bin dann beim Gegner und nicht bei mir", sagt Kühnen: "Aber im Profisport hat man viel über die Persönlichkeitsentwicklung gelernt, davon ist viel eingeflossen."
"Leere, Einsamkeit und fehlende Freude"
Wer stets und ohne Unterlass körperlich gefordert ist, kann sich mental kaum weiterentwickeln oder neu justieren. Und so mehren sich in der späten Saisonphase die Fälle von Spielern, die bei der Turnierhatz "Leere, Einsamkeit und fehlende Freude" empfinden, wie Zverev nach seinem Erstrunden-Aus in Wimbledon mitteilte. Und selbst Branchenführer Alcaraz, den Kühnen neben Novak Djokovic für den mental stärksten der aktiven Profis hält, verspürte unlängst die Last "emotionaler Herausforderungen".
Kühnen weiß aus seiner Erfahrung als Profi, Teamchef und TV-Experte, dass kaum eine Sportart seinen Profis in dieser Beziehung mehr abverlangt als das Tennis. "Gerade von der mentalen Seite her, von der Fokussierung und Konzentration ist es sehr intensiv", sagt er: Die Matches zu spielen, die Turnierreisen, die Herausforderungen, die damit einhergehen, seien der eine Punkt. Hinzu kommen die Herausforderungen in den Duellen in ständig anderen Zeitzonen und die klimatischen Bedingungen.
Aber: Große Triumphe sind kaum möglich, wenn sich die Psyche nicht im Gleichgewicht befindet. Der Ausspruch "Tennis never stops" beschreibt das Tourleben zwar gut - scheint aber überholt. Denn bei Kühnen und auch bei Djokovic, der kürzer treten will, setzt sich zunehmend eine andere Maxime durch: Ohne Breaktime droht der Breakdown - körperlich wie mental.